Als Brückenbauer zwischen „Wissenschaft, Kunst und Spiritualität“ versteht sich Dieter de Harju. So arbeitete er unter anderem als Forscher und Lehrer an der Universität in Frankfurt. (Foto: Franz X. Fuchs)
Dieter de Harju aus Tutzing ist das, was man einen Lebenskünstler nennen könnte. Seine Erfahrungen als Wissenschaftler, Maler, Autor und Weltreisender würde er nun gern noch in einer eigenen Akademie vermitteln Von Manuela Warkocz Tutzing – Ein Gespräch mit Dieter de Harju – das ist nicht einfach eine berufliche Annäherung anhand eines roten Fadens, aus dem man hinterher ein Portrait strickt.
Ein Treffen mit dem Wissenschaftler, Autor, Musiker und Maler ist Kästchenhüpfen für Fortgeschrittene. Er springt zwischen Philosophie, Psychologie, Esoterik und Kunst, referiert über seine dadaistischen Sprachexperimente auf youtube, springt dazwischen tatsächlich auf – „Kommen Sie, das muss ich Ihnen zeigen“ -, um in der bis in den letzten Winkel mit Erinnerungen und Büchern vollgestopften Drei-Zimmer-Wohnung in Tutzing ein neues selbst gemaltes „zauberbuntes“ Bild zu erklären, überreicht ein Exemplar von seinem Buch „Das Fortuna-Prinzip“ mit Anregungen für die Kunst des Lebens, spricht tief bewegt über den Tod seiner geliebten Frau Nadi, mit der er nur fünf Jahre vereint war, um sich im nächsten Moment an die Reise ins indische Aussteigerdorf Auroville zu erinnern. „Ach ja, ich hab ja Ihren Tee ganz vergessen.“ Saust in die Küche. Durchatmen.
Also, fangen wir doch mal von vorne an. Klassische Frage. Faktum. Wie alt sind Sie? „65, aber was bedeuten schon die Jahre“, sagt er lachend und holt weit mit den Armen aus. Vor wenigen Wochen hatte er einen schweren Unfall, war auf einer Treppe gestürzt, Riss in der Schädeldecke. Er war schon „wie tot“, entließ sich selbst aus der Klinik. Umso mehr freut er sich jetzt am Leben. Pflegt seinen extravaganten Stil zwischen Che Guevara und Salvador Dali, dessen Namen er sich aus Verehrung sogar auf den Arm tätowieren ließ, darunter einen Elefanten mit Schnurrbart. Mag verrückte Typen, die an Grenzen gehen, Konstantin Wecker, Ali Khan, der in einem Interview „überraschend nett zu mir war“, Charles Bukowksi, mit dem ihn die Geburtsstadt Andernach am Rhein verbindet.
Glitzerweste, Holzkette, Augenbrauen wie Balken, buntes Käppi und kein graues Haar. Färben Sie? „Ja, man will doch einen schönen Anblick bieten.“ Keine Spur von Verlegenheit. 1,86Meter, 82 Kilo, jeden Morgen werden Übungen gemacht, „ohne Schludern“. Das Gesamtkunstwerk, als das er sich sieht, muss instand gehalten werden. Im Körperkult sieht er keinen Widerspruch zu „Happy Aging“, eines seiner Postulate.
Mit Thesen für eine „neue Kultur der Reife“ anstelle von „anti-aging“ traf er als Autor 2005 genau den Nerv der 50-plus-Generation, war gefragter Interviewpartner in den Medien. Zu der Zeit lagen schon mehrere Karrieren hinter ihm. Er selbst mag das Wort nicht. „Ich bin kein Planer. Ich entscheide alles spontan, mache was gut geht und gebe allem ohne Angst eine Entwicklungsgeschichte.“ Vielleicht ist ihm dieses Lebensgefühl in die Wiege gelegt.
Für seine Mutter, die wegen mehrerer Behinderungen nicht mit einem Kind gerechnet hatte, war er das „Wunderkind“. Als Dieter Mueller-Harju kommt er zur Welt, legt den Mittelnamen später ab, auch wenn er seinem „Muttilein“ bis heute liebevoll zugetan ist. Über ihr Leben hat er die Biografie „Trotzdem: Agnes Mueller. Mein erfülltes Leben ohne Bein und Hand“ verfasst. Er selbst lernt früh, was es heißt, anders zu sein und es mit Stolz zu tragen. In der katholischen Schule muss er rechts sitzen, bei den Mädchen, wegen seiner langen Haare. Mit 18 tritt er aus der Kirche aus. Heute trägt er einträchtig nebeneinander Symbole von Christophorus, Buddha, Jesus und Maria, dazu Ganesha, den indischen Elefantengott. Der gibt ihm Kraft. „Jeder Glaube hat seine Berechtigung, wenn man andere nicht unterdrückt.“
Der Vater arbeitet beim Film, Harju will Kameramann werden. Die Eltern wollen das nicht. Er muss Verkäufer lernen, macht später auf dem zweiten Bildungsweg Abitur, studiert Betriebswirtschaft, Soziologie, Psychologie und Kulturwissenschaften, promoviert. An der Uni Frankfurt am Main lehrt er zehn Jahre. Er erforscht, wie junge Leute ihre Berufswahl treffen und was Beruf und Lebenssinn miteinander zu tun haben. Auf der anderen Seite beschäftigt ihn der Bereich Unternehmenskultur.
Daraus wächst 1991 das „Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur“, dessen Mitbegründer er ist. Zudem leitet er die Kontaktstelle für Unternehmenskultur an der Frankfurter Universität. Er reist viel, vor allem nach Asien. Bali, Thailand, Myanmar, Sri Lanka – Buddhas, Masken und viele andere Souvenirs zeugen sogar auf dem Balkon in Tutzing, von dem man auf den See blickt, von der Reiseleidenschaft. Die Uni wird ihm zu eng, er macht sich als „Berufs-LebensCoach“ selbständig, schreibt Bücher, publiziert Essays. Er organisierte das „Tutzinger Forum: Generationen-Dialog“. Holt den Bürgermeister ins Boot, namhafte Leute wie Marianne Koch, ackert neun Monate, „solange wie eine Frau ihr Kind trägt“. Ohne Geld. Das interessiert ihn prinzipiell gar nicht, versichert er. Aber das Forum zündet nicht richtig. „Die Leute sind misstrauisch, wenn einer freundlich ist, ein Schenker. Da stecke doch was dahinter“, so seine Erfahrung. Gerüchte machen die Runde, er sei ein „Guru“.
Er verlegt sich wieder aufs Schreiben, verbringt dazu viel Zeit auf Kreta, plant einen Roman über einen Mann in 60 Ländern, in denen er selbst war. Sonst kein Vereinsmensch, eher Einzelgänger, tritt er dem Freien Deutschen Autorenverband bei, liest im Literaturradio Bayern. Malt und stellt seine leuchtendenden Bilder mehrmals in der Region aus. 2017 macht er mit dem Tutzinger Künstler Walter Hoffmann als Künstlervereinigung „Take Five“ mit einer Performance „Kunst am Bahndamm“ von sich reden. Hoffmann verarbeitet seinen Frust über die Lautsprecheranlage des Tutzinger Bahnhofs künstlerisch mit Hilfe von Fotos und eingefangenen Tönen; de Harju stellt seine Holzinstallation „Kreuz der Versuchung“ auf, Motto: „Wer nichts versucht, findet sein eigenes Leben nicht.“
Vor kurzem luden die beiden zur Kunst-Disco in den legendären Tutzinger Keller, passend zum 1968er Revival mit dem Slogan „Hippie your Life“. Das Kunstevent mit Malereien, Fotografien und Texten samt Party im Woodstock-Sound soll gut angekommen sein.
Dieter de Harju versteht sich „als Brückenbauer zwischen Wissenschaft, Kunst und Spiritualität“. Er ist ein zutiefst überzeugter Optimist. Sein Buchtitel von 2007 hat für ihn immer noch Gültigkeit. Er ist sich sicher: „Das Beste kommt erst noch.“ Was das sein könnte? „Vielleicht eine Freie Akademie der Lebenskünste.“ In Tutzing gedeihen Akademien ja bekanntlich gut